SCHUTZKONZEPT

04.11.2021: Sämtliche Einrichtungen und Organisationen, die sich um das Wohl junger Menschen bemühen, benötigen nachhaltige Schutzkonzepte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch und vor Gewalt. Auch im Kontext der Wegbegleitung muss ein ausgeklügeltes Schutzkonzept greifen.


Auf der Suche nach einem solchen Schutzkonzept bin ich auf Prof. Dr. Andreas Schrenk (Dipl. Päd.; Dipl. Soz. Päd) aus der Fakultät für Sozial- und Rechtswissenschaften der SRH Hochschule Heidelberg gestoßen und habe ihn heute (03.11.2021) hierzu interviewt:


Julius: Andreas, warum brauchen wir eigentlich Schutzkonzepte?


Andreas: Die aktuelle Reform des SGB VIII (Einführung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG) verlangt von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe den Nachweis einrichtungsindividueller Gewaltschutzkonzepte und Beschwerdemöglichkeiten. Diese Voraussetzungen gelten ausdrücklich auch für schon bestehende Einrichtungen. Einrichtungen, die diese Voraussetzungen nach wie vor nicht erfüllen, müssen nun sehr zeitnah aktiv werden, da bei Überprüfung die Betriebserlaubnis erlöschen könnte. Einrichtungen, die bereits ein Schutzkonzept haben, können ihr Konzept im Programm überprüfen, ergänzen, abgleichen und aktualisieren.


Julius: Ich habe von Deinem "Schutzkonzept Reloaded" gehört. Was ist das genau?


Andreas: Es handelt sich um ein innovatives Programm im Blended Learning Format zur Unterstützung von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen bei der Entwicklung, Einführung und Umsetzung einrichtungs-individueller Schutzkonzepte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch und Gewalt. Die Teilnehmer:innen von „Schutzkonzept Reloaded“ werden digital gestützt durch eine Social Learning App „an die Hand genommen“, um am Ende dieses Prozesses für ihre Einrichtung ein einrichtungsindividuelles und funktionales Schutzkonzept erarbeitet zu haben.

Die personellen und zeitlichen Ressourcen in den Einrichtungen sind bei gleichzeitig extremer Arbeitsdynamik und komplexer Anforderungen an Mitarbeiter:innen und Führungskräfte erfahrungsgemäß sehr knapp bemessen. Für konzeptionelle Weiterentwicklung bleibt häufig nur wenig Zeit und Gelegenheit. „Schutzkonzept Reloaded“ greift diesen Sachverhalt auf und führt die Teilnehmer:innen unter Zuhilfenahme der Social Learning App mit kurzen Inputs und kleinen, bewältigbaren Arbeitsaufträgen durch den mehrmonatigen Prozess und unterstützt auf diese Art bei der Entwicklung, Einführung und Umsetzung des Konzeptes. „Schutzkonzept Reloaded“ vereint den Bedarf und die Erwartung der Einrichtungen, trotz knapper personeller und zeitlicher Ressourcen relativ zügig zu Ergebnissen zu kommen außerdem mit der Notwendigkeit, das Konzept partizipativ mit den Mitarbeitenden vor Ort und unter geeigneter Einbeziehung der Klientel zu entwickeln. 


Julius: Welchen Nutzen siehst Du hier genau für die beteiligten Einrichtungen?


Andreas: Die Einrichtungen, die, vertreten durch eine/n oder mehrere Teilnehmer:innen das Programm durchlaufen, verfügen am Ende des Prozesses über ihr einrichtungsindividuelles Schutzkonzept und können diesen Organisationsentwicklungsprozess nachweisen.


Julius: Du sprichst von Nachweisen. Was kann man denn hierunter konkret verstehen?


Andreas: Ich kann Dir hierzu gern ein paar Beispiele aufzählen:

• In der Einrichtung hat sich eine Kultur entfaltet, die geprägt ist von Bewusstheit und Haltung und Kinderschutz nicht als methodischen Zusatz begreift, sondern als Ergebnis differenzierterer und geschulter Wahrnehmung. Diese Kultur gilt es (auch und gerade nach dem Programm) weiter zu entwickeln und zu stabilisieren.

• Die professionelle Sensibilität innerhalb der Einrichtung ist höher als vorher. Alle Mitarbeiter:innen der Einrichtung verfügen über eine schärfere Wahrnehmung bzgl. abweichendem Verhalten seitens der Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen.

• Die Einrichtung hat einen Prozess zur Risikoanalyse durchlaufen und die Organisation dadurch zu einem sichereren Ort gemacht.

• Im Team besteht ein einheitliches Verständnis im Umgang mit Klientel im Hinblick auf Nähe und Distanz.

• Kinder und Jugendliche machen die Erfahrung, beteiligt und ernstgenommen zu sein.

• Die Einrichtungsleitung hat verschriftlicht und gegenüber Mitarbeiter:innenschaft und Klientel kommuniziert, welche Position sie selbst zum Thema Kinderschutz und Partizipation hat.

• Neue Mitarbeit:innen können anhand eines klar beschriebenen Ablaufes in das Schutzkonzept der Einrichtung eingeführt werden.

• Es besteht ein spezifisches Einstellungs- und Einarbeitungsprozedere für die Mitarbeiter:innen, was sehr zur Arbeitsplatzzufriedenheit beiträgt.


Julius: Wichtig an solchen Konzepten ist ja immer das Thema "Nachhaltigkeit". Wie erfolgt denn eine Qualitätssicherung? Damit meine ich: Wie wird sichergestellt, dass der Schutzauftrag nachhaltig gelebt wird?


Andreas: Das gestalten wir zum Beispiel über die Struktur. Es muss strukturell sichergestellt werden, dass das Thema nicht verloren geht. Das wird die Teilnehmer:innen fordern, planerisch vorzugehen und "heute" festlegen lassen, wann und wie und durch wen dieses oder jenes Thema wieder aufgelegt wird. Also, dass zum Beispiel in den Konferenzen Beschwerdemanagament als Dauerthema gesetzt wird. Und es geht um die Kultur. Es muss eine Kultur entwickelt und gefestigt werden, in der die professionelle Sensibilität geschärft ist, die unterschiedlichen  Sichtweisen abgeglichen sind und ein einheitliches Verständnis entwickelt und auch verschriftlich wird. Dann erst können Abweichungen wahrgenommen und bearbeitet werden.


Julius: Mich überzeugt Dein Konzept. Wie Du ja weißt, habe ich ein Buch geschrieben über die wichtige Rolle der Wegbegleitung für Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen. Darüber sind wir ja ins Gespräch gekommen. Leider gibt es kaum Vereine, die sich um dieses wichtige Thema in Deutschland bemühen. Das möchte ich gern ändern. Ganz wichtig ist jedoch, dass auch Wegbegleitungen einem nachhaltigen Schutzkonzept unterliegen müssen, nämlich immer dann, wenn mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet wird. Ist Dein Schutzkonzept auch für zum Beispiel gemeinnützige Vereine in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, die sich um ebensolche Wegbegleitungen engagieren, sinnvoll und anwendbar? Wie siehst Du das?


Andreas: Selbstverständlich ist das Schutzkonzept auch für derartige Vereine adaptierbar. Ich kannte die ehrenamtliche Wegbegleitung allerdings bis dato noch nicht und werde dies beim weiteren Ausrollen meines Konzepts in jedem Falle berücksichtigen. Danke für Deinen Input hierzu.


Julius: Wo finde ich denn weitere Informationen zum Deinem Schutzkonzept reloaded?


Andreas: Schau doch gern einmal auf meiner Homepage nach.


Julius: Danke, für dieses mega-spannende Interview. Lass uns bitte im weiteren Austausch bleiben.


Andreas: Gerne! Und weiterhin viel Erfolg bei Deinem Projekt.



Ergänzende Informationen:

- Heft Blickpunkt Jugendhilfe (26. Jahrgang, Heft 2) des VPK - Bundesverband e.V.

- Schutzkonzept Reloaded Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen

- Schutzkonzept Reloaded Kindertagesstätten












































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